Mein letzter Brief an Dich mein liebes Schwesterherz!
So haben wir uns immer genannt, wenn wir uns verabschiedeten bei Dir zuhause. Die letzten Wochen haben wir uns mehr im Skype getroffen, wo wir manchmal über eine Stunde diskutierten, Kaffee zusammen tranken und so unseren Spass hatten, da ich leider durch meine gebrochenen Rippen nicht sicher mit dem Auto durch die Stadt zu Dir fahren konnte. Dann warst Du plötzlich nicht mehr zu erreichen. Der Silvester ging vorbei, erst einige Tage später im neuen Jahr konnten wir mit dem Handy telefonieren. Du warst im Spital. Noch am selben Nachmittag kam ich zu Dir. Du konntest nicht aufstehen, dazu reichte Deine Kraft nicht aus. Die vielen Untersuchungen hatten Dich geschwächt. Ich erfuhr von Dir, dass Du am Herzen operiert werden solltest. Doch wie, was, wann, müsste noch abgeklärt werden. Eine Deiner Herzklappen schloss nicht mehr richtig, dass hatten wir ja gewusst. Darum auch hast Du Dich vor Jahren für einen Herzschrittmacher entschieden. Leider wurde zur damaligen Zeit diese OP noch durch öffnen des Brustkorbes ausgeführt. Davor hattest Du Angst. Dies war nun nicht mehr so. In der heutigen Zeit, wurde diese OP mit einer Sonde gemacht und war nicht mehr blutig. Du warst sehr müde und so verabschiedete ich mich nach einer knappen Stunde wieder.
Am nächsten Tag als ich im Spital anrief, hiess es: „Die Patientin wäre nicht zu sprechen.“ Also wartete ich den nächsten Tag ab, wo wir auch verbunden wurden. Deine Stimme war schwach und auf meine Frage ob ich kommen sollte, sagtest Du mir, dass am nächsten Tag entschieden wird, wann die OP stattfinden würde. Jetzt wollest Du nur schlafen.
Doch es kam ein Problem mehr dazu. Durch die Überanstrengung war ein Riss an der Herzklappe entstanden, der Dein Herz noch mehr schwächte. Das wurde in den vorangegangenen Untersuchungen entdeckt. Ich redete Dir Mut zu, diese OP so schnell wie möglich hinter Dich zu bringen, denn jeder Tag den Du zuwarten würdest, verbrauchte Deine Kräfte und Kraft hattest Du ja fast keine mehr. Wir machten Pläne für danach. Ich versuchte Dir die Reha, die ja schon bestimmt war, als zwingend notwendig einzureden, denn so sehr Du die OP gefürchtet hattest, so widerlich war Dir der Gedanke an die anschliessende Reha.
Zwei Tage später solltest Du operiert werden. Meine Gedanken waren bei Dir den ganzen Tag. Am Abend versuchte ich nochmals zu telefonieren. Wir wurden verbunden und Du sagtest mir, die OP musste abgebrochen werden, da es unmöglich war, den Schlauch für die Sonde anzubringen. Du konntest noch nicht richtig sprechen und so liess ich Dich schlafen, mit dem Gedanken, am nächsten Tag ins Spital zu fahren. Am nächsten Tag hatte ich ein Telefon von Connie. Sie sagte mir, es wäre gut für Dich, wenn Du keinen Besuch erhältst, da jede Ansteckung einer Infektion vermieden werden sollte. Also habe ich mich daran gehalten und nur per Telefon versucht Dich zu erreichen. Wieder verging eine Woche. Da sagtest Du mir, man würde Dich nach Zürich ins Unispital bringen für die OP, da dort Spezialisten vor Ort wären. Termin war am 2. Februar. Ich fuhr zu Dir. Du warst angezogen und bist im Stuhl am Fenster gesessen, als ich ankam. Ich habe mich so gefreut, da es Dir anscheinend besser ging. Wir haben uns lange unterhalten. Ein Satz von Dir wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Du sagtest: „Ich bin todkrank.“ Das brachte mich zurück zur Realität. Ich erkannte Deine Angst, nahm Dich in meine Arme und versuchte Dir einen Teil meiner Kraft zu geben. Das war das letzte Mal, wo wir mit Herz und Seele verbunden waren. Ich verabschiedete mich, als die Krankenschwester kam um Dir Blut abzunehmen, damit Deine Werte kontrolliert werden konnten. Ich sagte Dir noch, dass Deine Freundin Nina auch noch zu Besuch kommen würde. Ich begegnete Nina vor dem Krankenzimmer und war beruhigt, da sie ja nun hier war.
Samstag konnte ich Dich nicht besuchen, da Du zur Dialyse musstest und Sonntag brachte man Dich nach Zürich. Wir haben noch am Sonntag Abend telefoniert und ich versicherte Dir, dass meine Liebe und meine Gedanken bei Dir sind. Montag wartete ich den ganzen Tag lang auf ein Telefon. Ich musste wissen wie es Dir geht. Ich schrieb ein SMS an Connie und Michaela, mit der Bitte mir Bescheid zu geben. Ich bekam die Rückantwort, dass Du nicht operiert wurdest, da zu viele Infektionsherde gefunden wurden. Man hätte Dich wieder aufs Zimmer gebracht. „Oh Gott“, dachte ich, auch das noch. Ich habe sofort im Unispital angerufen und wurde mit Dir verbunden. Deine Stimme war kaum zu verstehen. Am Dienstag hast Du erfahren, dass der OP Termin auf den 15. Februar verschoben wurde. Am Mittwoch brachte man Dich zurück nach St. Gallen. Ich frage mich: „War das Dein Wunsch?“ Eine Stunde nach Deiner Ankunft hattest Du einen Kreislaufkollaps und kamst in die Intensivstation. Ich erfuhr es am Donnerstag morgen von Deinen Kindern. So schnell es mir möglich war, eilte ich zu Dir. Du lagst da, ohne eine Regung, kein Wimpernzucken, kein Finger bewegte sich an Deiner Hand, angeschlossen an den Apparaten, die dafür sorgten, Dich am Leben zu halten. Doch ich hatte noch immer Hoffnung Dich nicht zu verlieren. Ich fragte die Ärztin ob es erlaubt sei, Deine Lieblingsmusik abzuspielen und sie fand, das wäre eine schöne Idee. Also fuhr ich nachhause und holte ein Tablet und verschiedene CDs und fuhr zurück zur Intensiv. Dort erwartete mich auch schon die Ärztin. Sie wollte mit mir reden. Im Arztzimmer eröffnete sie mir den wahren Zustand von Dir. Sie sagte mir: „Ihre Schwester ist todkrank. All die Apparate sind reine lebenserhaltende Massnahmen. Sie können sie nicht mehr zurückholen. Ihr Herz ist zu schwach.“
Auf meine Frage, warum Christa nicht vorher operiert wurde, erklärte sie mir den Hergang Deiner Krankheit. Der Herzschrittmacher hat zwar das Herz unterstützt, doch nicht die Ursache beseitigt. So sei Dein Herz immer schwächer geworden bis es nur mehr die minimalste Leistung brachte. Werden die Maschinen abgeschaltet, hört das Herz zu schlagen auf. Ich musste es akzeptieren. Es war Dein Wille, nicht an Maschinen zu hängen, wenn es keinen Ausweg gab. Meine ganze Hoffnung, Dich zurückzuholen war zusammengebrochen. Ich wollte nur noch zu Dir.
Deine Kinder und ich entschieden uns für Gospel. Wir schlossen das Abspielgerät an, ich habe einen Ohrstöpsel an Dein Ohr gehalten, den zweiten steckte ich mir ins Ohr. So hörten wir über eine Stunde lang Deine Lieblingsmusik. Ich streichelte Deine Hände, von denen keine Regung kam, doch es schien mir, als ob Du Dich entspanntest. Nach gut einer Stunde versorgte ich das Gerät. Ich sang Dir ein Gute Nachtlied: „die Blümelein sie schlafen …“, bis meine Stimme mir versagte. Ich ging auf die andere Seite Deines Bettes, um Deinen Kindern Platz zu machen. Dort hatte ich meine Hand auf Deiner, fasste mit leichten Druck Deine Finger und meine andere Hand streichelte Deine Stirn und Wangen. Ich küsste Deine Augen, meine Tränen spürte ich nicht mehr. Die Ärztin kam und begann die Geräte langsam zurückzuschalten. Als die Geräte verstummten, hobst Du Deine Hand unter meiner langsam hoch. Deine Augen öffneten sich leicht, Deine Lippen bewegten sich, so als wolltest Du uns etwas sagen. Dann schlossen sich Deine Augen wieder, Dein Atem wurde flacher und war dann ganz weg. Da begriffen wir, Du bist von uns gegangen, oder besser, Du hast Deinen Körper verlassen. Doch wir wussten, Du hast uns wahrgenommen. Ich bin mir sicher, Du hast die Musik gehört und unsere Liebe gespürt. Du warst nicht allein, als das Fenster ins Jenseits geöffnet wurde und Du Deine Reise ins Licht antreten konntest. Zurückgelassen hast Du Deinen leeren kranken Körper und uns, die wir nun ohne Dich, in der Erinnerung an Dich, weiterleben und uns irgendwann und irgendwo wieder begegnen.
In Liebe, Dein Schwesterherz
liebe Renate, du hast sehr gelitten, das so nieder zu schreiben, wird dir sicher auch helfen, és zu verarbeiten, eine gute Woche wünsche ich dir
Lieber Klaus, Christa und ich haben uns in der Nacht fast täglich über Skype unterhalten. Jetzt führe ich die Gespräche mit meinen Gedanken. Ich habe sie gestern niedergeschrieben. Wenn es eine Welt des Lichts gibt, wird sie es lesen. Ja, ich bin noch fest mit ihr verbunden und sie fehlt mir sehr. Einziger Trost ist, sie hat nun keine Angst und keine Schmerzen mehr. Auch Dir eine Schöne Woche und liebe Grüsse, Renate
[…] Quelle: Was bleibt ist die Erinnerung! | liebeistleben.com […]
Danke lieber Heinz!
Das Schreiben hilft dir bestimmt den Tod deiner Schwester besser zu verkraften. Ich wünsche dir jedenfalls viel Kraft für die schwere Zeit. Dir eine gute neue Woche. L.G.
Danke lieber Lutz. Ja es hilft mir schon ein wenig. Wenn wir uns nicht getroffen haben, so telefonierten oder trafen wir uns im Skype. Christa und ich waren wirklich tief miteinander verbunden. Unsere Interessen waren nicht immer die gleichen, doch wir ergänzten uns. Gerade das war unsere Basis. Oft hatten wir lebhafte Diskussionen, doch keinen Streit. Wir akzeptierten unsere verschiedenen Meinungen und keine von uns, wollte je das Wesen des Anderen ändern. Vielleicht war das Verständnis füreinander unser Bündnis.
Liebe Grüsse auch von mir, die Sonne versucht durch die Wolken zu brechen, vielleicht gehe ich doch noch eine Stunde walken.