Ich habe hier das Bild eines lieben Freundes ausgewählt, welches mir geholfen hat, aus dem dunklen Schutz des Waldes, den Weg heraus zu finden. Denn, gibt es einen Weg hinein, so führt er auch wieder zurück.
Tage, Wochen, nein, Monate sind vergangen, seit meine liebe Schwester von uns gegangen ist. Meine Gedanken im Nebel, mein Herz erfüllt mit Trauer. Voller Tatendrang ging ich ins neue Jahr. Angefangenes wollte ich beenden und Neues wollte ich beginnen. Doch ich schaffte nur den Anfang. Nun heilen die Wunden meiner Seele, zwar langsam, aber stetig und der Wunsch wieder zu schreiben drängt immer mehr in den Vordergrund. Zwar gehen meine Gedanken noch eigene Wege. Folgen nicht meinem Willen, der sie auf die Pfade meiner Erzählungen lenken möchte. Doch denke ich, mein Wunsch zu schreiben wird die Trauer besiegen und meine Seele wieder freigeben. So wie ich die Seele meiner Schwester ziehen liess als es ihr Wunsch war, frei von allen Lasten fort zu fliegen.
Ich war etwas mehr als neun Jahre alt, als meine Schwester geboren wurde. Sie kam in meinem Bett auf die Welt. Mein Bruder und ich schliefen im Zimmer unserer Eltern, da es zu kalt und darum ungeeignet für eine Geburt gewesen wäre. Zur damaligen Zeit gab es noch keine Zentralheizung und die Winter waren kalt. An den Fensterscheiben bildeten sich Eisblumen und Schneeflocken fielen auf die gefrorene Erde. Mein Bruder und ich wussten, in dieser Nacht sollte unser Geschwisterchen ankommen. Natürlich hatten wir keine Ahnung ob Bruder oder Schwester, doch eigentlich war uns das nicht so wichtig. Vati hat uns in der Nacht aufgeweckt, mit den Worten: „Sie ist da! Wenn ihr wollt, könnt ihr sie nun begrüssen. Aber schön langsam und leise, wir wollen sie ja nicht erschrecken.“ Wir folgten Vati in unser Zimmer. Mutti hatte ein weisses Bündel neben sich liegen. Als ich näher kam sah ich ein kleines Köpfchen mit schwarzen Haaren daraus hervorgucken. Mutti war damit beschäftigt die Bänder zu lösen, die das weisse Bündel zusammenhielten. Ich hörte wie sie sagte: „Gell, du willst Deine Händchen nicht so eingepackt haben, gleich ist es so weit und du kannst sie frei bewegen.“ Ich stand da und schaute zu, wie erst die eine und kurz darauf die zweite Hand zum Vorschein kam. Was für kleine Fingerchen, so zerbrechlich, ganz sachte strich ich mit einem Finger meiner Hand über die Innenfläche der Hand meiner Schwester. Ihre kleine Hand schloss sich über meinen Finger und hielten ihn fest. Mein Bruder tat es mir gleich und so umschloss auch sein Finger die zweite Hand unserer kleinen Schwester. Das war unser erster Kontakt. Mutti sagte: „Eure Schwester heisst Christa. Wir werden die nächsten Tage hier in eurem Zimmer bleiben. Vati wird für unser Schlafzimmer einen Ofen besorgen, dann könnt ihr wieder in euren Betten schlafen. Jetzt geht aber wieder schlafen, sonst kommt ihr am Morgen nicht aus dem Bett und ihr müsst ja in die Schule. Ausserdem sind Christa und ich sehr müde.“ Natürlich konnten mein Bruder und ich nicht sofort wieder einschlafen. Da war das grosse Geheimnis, die Ankunft unserer kleinen Schwester Christa. Ich weiss nicht wieviel Zuckerwürfel ich aufs Fensterbrett gelegt hatte, damit der Storch auch zu uns ein Baby bringen würde, doch jetzt war es Winter und kein Storch mehr zu sehen. Nun, in dieser Nacht konnte ich das Geheimnis nicht lösen und mit der Zeit habe ich vergessen danach zu fragen.
Ab dieser Nacht spielte ich nicht mehr mit meiner Puppe. Meine freie Zeit verbrachte ich fast nur mit Christa. Ich erlebte hautnah ihre Entwicklung mit. Ihr erstes Lachen, den ersten Zahn, die ersten Worte, die ersten Gehversuche. Die Angst wenn sie krank war und die Freude wenn es ihr wieder besser ging. Dieses Band, geschmiedet aus viel Liebe, hat uns ein Leben lang begleitet. Einige Erlebnisse aus dieser Zeit werde ich hier erzählen.
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