
Als ich mich entschlossen hatte, das Handwerk “der Kunst des Schreibens” zu erlernen, war mir voll bewusst, welch harte Zeiten auf mich zukommen würden. Und doch, wollte ich meinen Traum wahr werden lassen, musste ich diese Bürde auf mich nehmen. Da ich noch voll berufstätig war, blieb für mich kein anderer Weg, als neben meiner Arbeit, zu lernen. Ich meldete mich bei der Schule des Schreibens in Hamburg an und erwartete nun voller Ungeduld mein Lernpaket. Es dauerte nur einige Tage, bis ich dieses auf der Post abholen konnte. Wieder zu Hause öffnete ich es, nahm die Lehrhefte fast ehrfurchtsvoll in meine Hände, wobei ein leichter Schauer über meine Haut zog. Es war wie eine Berührung von Geisterhand, so als wollte mich ein Geist der Schreibergilde willkommen heißen. Für mich jedenfalls war es so. Ich setzte mich in die Couch und begann die Kursanleitung zu lesen. Danach begann ich meine erste Lektion zu studieren. Vieles was ich in dieser ersten Lektion las, war mir bekannt. Meine erste Aufgabe war:
“Warum ich schreiben lernen will”
Hier nun meine Antwort auf diese Frage.
Welche Frage? Meine Gedanken schlagen Purzelbäume, meine Lippen formen Sätze und meine Hand versucht das Erdachte aufzuschreiben. Der Papierkorb füllt sich mit angefangenen Seiten. Es fehlt der Faden, Bindestücke zwischen Kopf und Seele. Mein Blick wandert im Raum, bleibt an meinen geliebten Büchern hängen. Jedes einzelne ausgesucht, ob meinen Wissensdurst zu stillen, oder einfach nur, mich – zu unterhalten. Es sind meine Freunde und sie werden mich mein Leben lang begleiten. Ich merke wie ein Lächeln über mein Gesicht huscht. Meine Gedanken sind weit weg.
Ein etwa zwölf Jahre altes Mädchen sitzt am Tisch und macht seine Schulaufgaben. Immer wieder schaut es aus dem Fenster. Es kann sich so gar nicht auf die zu lösenden Rechnungen konzentrieren. Es zeichnet kleine Blumen auf sein Löschblatt. Ganz ohne Übergang beginnt es zu schreiben. Es schreibt sein erstes Gedicht.
Frei wie der Adler wollte es sein, weit über den Wolken schweben, oder wie die Bäume, die stolz ihre Kronen zum Himmel heben. …
Wie gern wäre ich auf das Gymnasium gegangen. Aber ein armes Mädchen vom Lande brauchte keine höhere Schule. Das kostete nur Geld und Geld war keines da. Außerdem heiratet ein Mädchen, da wäre es schade um die Schule, also soll es arbeiten und Geld verdienen. Diese Gedanken waren nicht außergewöhnlich zur damaligen Zeit.
Ich arbeitete und sparte meine wenigen Groschen. Ich wollte lernen. Nach dreijährigem Unterbruch verhalf mir mein ehemaliger Schuldirektor zu einer Aufnahmeprüfung in die Handelsschule. Ich bestand die Prüfung. Ich kaufte mir eine Schreibmaschine, die Schulbücher und alles was ich sonst noch brauchte. Meinem Vater kaufte ich einen Anzug und meiner Mutter ein Teeservice, welches sie sich schon lange gewünscht hat, als Dank, dass ich wieder zu Hause wohnen durfte. Vor allem aber als Dankeschön, dass sie, meinen Willen zu lernen, nun doch noch unterstützten. Ich liebte meine Eltern und sie liebten mich. Die wirtschaftliche Lage hatte sich in den letzten Jahren etwas gebessert. Der Schrecken des Krieges verblasste immer mehr in den Köpfen meiner Eltern. Ich wurde einfach drei bis fünf Jahre zu früh geboren und das war mein Schicksal.
Wieder in der Schule. Was für eine herrliche Zeit. Mein liebstes Schulfach war “Deutsch”. Josef Edmund Bendel war mein Fachlehrer. Er war ein bekannter Kinderbuch-Autor. “Der Sonnblick ruft”, wurde sogar verfilmt. Meine Aufsätze durfte ich fast alle in sein Buch schreiben, worin er die besten Werke seiner Schüler sammelte. Ich schrieb Gedichte während des Unterrichts. Ob in Geschichte oder Musik, alles was mich bewegte, erfasste ich in Zeilen. Ich schrieb damals sogar meinen ersten Roman. Wie oft wollte ich ihm etwas davon zu lesen geben, aber im nächsten Moment dachte ich: “Es ist doch nicht gut genug.” So verging die Zeit und ich verpasste, (vielleicht) meine Chance.
Die Schule neigte sich dem Ende zu, was nun. Wien, kam nicht in Frage. Großstadt, viel zu gefährlich für ein junges Mädchen. Also, auf in die Schweiz. Jetzt zählte die Leistung und mein Ehrgeiz war groß. …
Ich lernte meinen Mann kennen, es folgte die Hochzeit und es kamen die Kinder. Wie selbstverständlich hatte ich so nebenher noch meinen Job. Hin und wieder schrieb ich Erzählungen und Gedichte. Ich schrieb über Freude und Trauer, Zorn und Liebe, alles für die Schublade.
Wirklich für die Schublade?
Mein Leben war reich an guten und schlechten Erfahrungen. Es hat mich nicht zerbrochen. Mit vierzig Jahren stand ich mit meinen Kindern allein da. Mit fünfundvierzig verlor ich alles was ich mir aufgebaut hatte. Ein Jahr später bestand ich die Wirte Prüfung und führte fünf Jahre ein Restaurant. Anschließend war ich Geschäftsführerin eines Hotels. Als dieses vom Besitzer verkauft wurde, war wieder einmal Auszeit für mich. Meine Kinder waren erwachsen und gingen ihre eigenen Wege. Ich war allein. Irgendwie war es traurig, aber ich konnte das Lebensrad nicht rückwärts laufen lassen. Ich meldete mich für eine Projektarbeit nach Rumänien. Ich wollte mich loslösen von der Vergangenheit, wollte mich befreien und es ist mir gelungen.
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Diese Zeit in Rumänien brachte mich wieder meiner Kindheit nahe. Es war für mich wie ein Bilderbuch. Die Zeit schien stillgestanden. Ich sah die Armut, aber sie war mir nicht fremd. Wir lebten wochenlang unter denselben Bedienungen wie die Bevölkerung und wurden nicht krank. Die Bauern hatten keine Traktoren, sie arbeiteten mit Pferden und Ochsen. An den Flussufern schwammen Scharen von Gänsen. Diese begegneten uns wieder am Abend, wenn sie nach Hause watschelten. Die Berge mussten wir zu Fuß durchwandern. Es gab keine Seilbahnen oder Sessellifte. Die Almweiden waren übersät mit Wildblumen und Heidelbeeren. Was mich faszinierte war die wilde, ja unberührte Schönheit der Landschaft. Ich hatte meine Seele wieder gefunden und auch die Liebe zum Schreiben.
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“Vision”, … einige Jahre später.
Ein Blick auf die Uhr, –noch eine Stunde. Ich strecke meine Finger und knete sie einzeln durch. Ganz schön anstrengend dieser Nachmittag. Die vielen Menschen und alle möchten ein handsigniertes Buch von mir. Nie hätte ich mir zu träumen gewagt, dass so viele Menschen auf meinen Roman gewartet haben. Eine Hand streckt sich mir entgegen. Sie umfasst ein kleines Buch –meinen Erstling; “Poesie”. Wie aus weiter Ferne vernehme ich die Worte: “Dieses Büchlein ist ein Freund, es wird mich mein weiteres Leben begleiten”.
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Das also war meine erste Aufgabe in der Schule des Schreibens.
Die Reaktion von meinem Studienbegleiter werde ich das nächste Mal hier rein stellen.
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