
Ich erzähle nun den letzten Tag mit Sherbo. Mehr als fast 15 Jahre war Sherbo an meiner Seite. Viele Abenteuer durften wir zusammen erleben. Ich habe die ersten Monate unserer Gemeinsamkeit erzählt. Vielleicht bringe ich die eine oder andere Geschichte hier auf meiner Homepage. Doch da ich die Erlebnisse mit ihm in einem Buch herausbringen werde, kann ich nicht “Alles“ freigeben. Ich denke, wenn ich über unsere Zeit in Rumänien schreibe, werde ich wieder eine Episode hier einstellen.
Es war an einem Freitagmittag. Wie immer machten wir uns auf den Weg. Sherbo, so war sein Name und der Name passte ausgezeichnet zu ihm, denn der Name war so außergewöhnlich wie er, suchte seinen Weg. Es war eine stille Vereinbarung zwischen ihm und mir, dass er mir zeigte, welchen Weg wir nahmen.
An diesem Tag wollte er geradewegs zum See. „Es wird kein langer Spaziergang werden“, dachte ich bei mir und ließ ihm seinen Willen. Am See nahm ich ihm die Leine ab. Sicher wusste er das und hatte deshalb diesen Weg gewählt. Er schnupperte an jedem Baum und jedem Strauch. Intensiv, wie es schien, hinterließ er seine Markierungen.
Später, als ich an diesen Tag zurückdachte, erkannte ich, dass Sherbo sich verabschiedet hatte. Auf dem Nachhauseweg passierte es. Sherbo taumelte, jaulte laut auf. Es klang wie ein Hilferuf, dann sackte er zusammen. Antony fing ihn in seinen Armen auf. „Mami, der Sherbo stirbt“, rief er entsetzt. Er hob ihn hoch: „Wir müssen zum Arzt, schnell, er atmet fast nicht mehr.“
So schnell wir konnten rannten wir zum Haus, legten Sherbo auf den Rücksitz in mein Auto. Antony setzte sich zu ihm, hielt seinen Kopf, streichelte ihn und redete auf ihn ein, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. Es war ein Bild, so voller Liebe und Trauer, gemischt mit großer Verzweiflung und Hilflosigkeit.
Ich betete im Stillen, das der Arzt zu Hause war – und vor allem, dass er Sherbo helfen konnte.
Wir hatten Glück. Der Arzt war da, doch sein Gesichtsausdruck, als er Sherbo sah, gab mir keine Hoffnung. Antony legte Sherbo auf den Untersuchungstisch. Gebannt sahen wir zu, wie der Arzt Sherbo untersuchte und schon nach kurzer Zeit aufblickte. „Das war ein starker Herzinfarkt. Auch wenn ich ihm für den Moment helfen würde, er würde nicht mehr sein wie vorher. Er hat ein schönes Leben gehabt und ist sehr alt geworden. Vierzehneinhalb Jahre sind viel für einen Hund. Lasst ihn sterben, es ist das Beste für ihn und für euch. So muss er nicht leiden. Ich lasse euch jetzt eine viertel Stunde allein mit ihm, so könnt ihr Abschied nehmen. Vorher gebe ich ihm noch eine Spritze, damit er keine Schmerzen hat und auch keine Angst.“
Der Arzt gab Sherbo die Spritze und stellte uns zwei Stühle hin, damit wir uns setzen konnten. Danach senkte er etwas den Tisch und ging aus dem Raum.
Da lag er nun, unser Sherbo. Seine Augen, diese lieben, treuen, schönen, großen Augen wanderten suchend im Raum umher. Meine Hände fanden automatisch die Stelle hinter seinen Ohren. Er liebte es, wenn ich ihn dort kraulte. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass auch Antony ihn streichelte. Ich bedankte mich bei Sherbo für die schöne Zeit, die wir zusammen verbracht hatten.
Ganz ruhig lag er da und lauschte meiner Stimme. „Mami, muss es wirklich sein, muss Sherbo nun sterben, können wir wirklich nichts mehr für ihn tun?“ Antony schluckte und wischte sich die Tränen von seinen Wangen. „Ich würde alles für Sherbo tun, wenn es ihm wirklich helfen könnte. Doch glaube mir, der Arzt hat Recht. Ich denke, wir sollten Sherbo wirklich seine Ruhe gönnen, er hat sie verdient.“
Ich konnte nicht weitersprechen, wir weinten beide. Mit der einen Hand streichelten wir Sherbo, während unsere andere Hand den Weg zueinanderfand. So verbrachten Antony und ich die letzten Minuten mit unserem Hund, der uns in den langen Jahren ein Freund gewesen war.
Der Arzt kam nach einiger Zeit wieder und erklärte uns sein weiteres Vorgehen. Er rasierte Sherbo am vorderen Lauf die Haare weg und setzte ei-ne Kanüle. Als er die Spritze aufzog, sagte er: „Nun geht es sehr schnell. Er wird keine Schmerzen haben. Sein Herz hört einfach auf zu schlagen.“
Noch einmal streichelte ich Sherbo über seinen Kopf. Die Tränen, die mir aus den Augen flossen, verschleierten meinen Blick.
„Jetzt ist es vorbei, er hat es überstanden“, hörte ich den Arzt sagen. In diesen Moment drehte Sherbo noch einmal seinen Kopf, sah mich an und die Spitze seiner Zunge fuhr ganz leicht über meinen Handrücken, so als wollte er sagen, bis bald. Diese letzte Liebkosung werde ich mein Leben lang spüren. Es war seine Art, mir Lebewohl zu sagen, oder aber auch mir zu zeigen, ich werde immer bei dir sein.
So ist es auch. Sherbo wurde nach Seon überführt. Nach der Kremierung kam er wieder zu mir. Er ist in seiner und meiner Umgebung und irgendwann, wenn die Zeit gekommen ist, werden wir den letzten Weg gemeinsam gehen. Bis dahin wird er auch weiterhin auf mich aufpassen.
Für mich steht fest. Wenn wir Menschen eine Seele besitzen, hat Gott auch den Tieren eine Seele gegeben, und das ist gut so.
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